Fehlfarben
"Es ist immer scheiße
One-Hit-Wonder zu sein!"
Die meisten Leute können mit den Fehlfarben, wenn überhaupt, nur mit deren erfolgreichstem Song "Es geht voran" etwas anfangen. Doch sie haben mit Platten wie "Monarchie & Alltag" ganze Generationen von Musikern und Menschen beeinflusst. 2002 war es Zeit für ein Comeback. Seitdem sind sie mit ihrem aktuellen Album in fast gleicher Besetzung wie zu Beginn der 80er auf Tour. Am 9. November 2003 hatte ich vor dem Auftritt im Solinger Getaway die Möglichkeit mit Sänger Peter Hein und Gitarrist Thomas Schwebel zu sprechen.
Ihr gebt auf eurer Homepage an, dass die Verleihung der Goldenen Schallplatte bei der EMI für "Monarchie & Alltag" die Initialzündung für das Comeback im Jahr 2002 war. Wer von euch hatte zuerst die Idee einer neuen Fehlfarben-Platte?
Thomas Schwebel: Wir waren zu viert bei der
Verleihung und da hat die EMI gefragt: "Wollt ihr nicht?" Dann haben wir uns
angeguckt und gesagt: "Wollen wir." Dann haben wir genickt. Dann hat die EMI
genickt. Dann haben wir gemacht. Dann hat die EMI nicht mehr genickt und den
Kopf geschüttelt (lacht). Dann haben wir trotzdem genickt und gesagt: "Wir
machen das trotzdem weiter."...
Peter Hein: ... und dann kam irgendwann K7 und so kam's.
Wie zufrieden seid ihr mit dem Album?
TS: Ich bin sehr zufrieden. Auf jedem Album
gibt es eben Licht und Schatten. Das wechselt aber auch häufig. Gerade dann wenn
man die Stücke mehr als 50 mal live gespielt hat, dann würde man gern im
Nachhinein einiges verändern.
PH: Ich habe aber auch kein Problem mit der Differenz. Live ist eben anders als
Platte.
Ihr zählt euch auch nicht zu solchen Künstlern bei denen das Livematerial wie auf Platte klingen muss?
PH: Nee, auf keinen Fall. Eine Band, die auf
der Bühne, wie auf Platte klingt, da gehe ich lieber nach Hause. Da kann ich mir
die Platte auch auflegen.
TS: Und das klingt dann immer noch besser.
PH: Ja, eben. Da redet auch keiner dazwischen oder geht pissen oder Bier
bestellen und wird nicht zusammengeschissen von irgend jemanden nach dem Motto
"Ruhe jetzt!". Nee, ich finde das einfach gruselig. Das kann auch so peinlich in
die Hose gehen.
Gibt es Stücke in eurer Discographie, die ihr im Nachhinein bereut aufgenommen zu haben?
TS: Es gibt einzelne Stücke, die man heute nicht mehr gut findet wo ich denke: "Oh Gott, das hätte man vielleicht nicht machen müssen.". Auf der anderen Seite stellen sich plötzlich nach 20 Jahren Sachen, für die man sich mal entschuldigt, hat als großartig heraus und man kriegt plötzlich auf die Schulter geklopft von irgendwelchen Leuten, wie toll das war. Irgendwie kann ich mit allem irgendwie leben - auch mit den Peinlichkeiten.
Was ist mit dem kommerziell erfolgreichsten Stück von Euch "Es geht voran"?
TS: Auch damit kann ich leben, kein Problem,
netter Song, hat uns viel geholfen. Vielen Dank, "Es geht voran"!
PH: Genau! Auch auf dem Kontoauszug seh' ich's
immer ganz gerne. (lacht)
TS: Es gibt so viele andere Songs, die einfach
besser sind als der und die mehr Spaß machen und nicht so abgelutscht sind.
Spielt Ihr das Stück noch live?
TS: Im Moment nicht.
PH: Seit der Reunion, also seit der jetzigen
Live-Phase haben wir es nicht gespielt, nein.
Werdet Ihr noch gerne auf den Song angesprochen, oder wie ist Euer Verhältnis dazu?
PH: Es ist immer scheiße One-Hit-Wonder zu sein.
Stimmt. Ist immer blöd anderen zu erklären: "Fehlfarben, das sind die mit "Es geht voran"."
PH: Ja, genau. Dann kommen eben diese Leute zum
Konzert und stellen dann fest, dass alles anders ist als "Es geht voran". Zum
Glück auch.
TS: Die Version, die auf der Platte ist war auch die schlechteste Version, die
wir je von diesem Stück gespielt haben. Das ist auch das Verrückte. Ich habe mir
die Bänder noch mal angehört - grausam. Ich kann mich noch erinnern: wir kamen
ins Studio an einem Freitag und haben nachmittags unser Zeug aufgebaut. Am Abend
zum Warmwerden spielten wir dann zum Warmwerden "diese blöde Funknummer, die
keinen Namen hat". Irgendwann hat Janie (Peter Hein) dann dem Ganzen einen Text
und Namen gegeben und dann haben wir nie wieder daran gedacht. Wir haben das
Stück nachher auch immer besser als auf dieser schlechten Version gespielt.
Oliver Kahn würde wohl sagen. dass es die "eierloseste" Version ist, die wir je
aufgenommen haben (lacht). Das Stück ist ok, aber die Aufnahme ist wirklich
grottig.
Ich habe vor kurzem ein Statement von unserem Bundesumweltminister gelesen, der sich als großer Fan von euch preisgab. Ihr wart auch immer eine politische Band durch eure Texte und Haltung. Wie beurteilt ihr die derzeitige politische Lage?
TS: Unsere Freunde haben es ja jetzt in die
Regierung geschafft, wie man lesen kann. Unsere Türsteher sind Außenminister.
PH: Unsere Besucher sind Umweltminister...
TS: ... und rasieren sich sogar Bärte ab, wenn sie uns in der Berliner
Volksbühne sehen.
PH: Besser machen Sie es letztlich auch nicht. Man kann sich aber wenigstens der
Illusion hingeben.
TS: Wobei es ein gutes Zeichen ist, dass so jemand mit einer Karriere wie
Joschka Fischer Außenminister werden kann. Das wäre in Frankreich oder England
nicht möglich, wo Politiker grundsätzlich in Eliteschulen gecastet werden und
aus der gleichen Szene kommen.
PH: ... Regierung wie Opposition ...
TS: Gerade da ist es eben schön, dass eine Biografie wie die von Joschka Fischer
gibt. Man sieht auch, dass diese ganzen Schlagzeilen um seine damaligen
Geschichten im Frankfurter Milieu im nichts anhaben konnten - eher sogar
bestärkt haben und auch seine Akzeptanz bei den BILD-Zeitungslesern gesteigert
haben...
PH: ... weil er eben Eier hat (alle lachen)...
TS: Ja, da hätte ich eben nicht gedacht, dass so etwas in Deutschland möglich
ist, eher in Schweden oder so
Beim Punk stand damals die Ablehnung des Establishments und das Ausbrechen aus den bürgerlichen Verhältnissen im Zentrum der Bewegung. Glaubt ihr, dass so etwas heute noch möglich ist?
TS: Ich denke schon. Man sollte die "Attac"-Bewegung auch nicht unterschätzen. Mit der wachsenden Globalität wird natürlich auch der Zorn auf diese globaler. Auf der anderen Seite ist die Rebellion auch schwieriger geworden. Dieter Bohlen benimmt sich der Definition nach im Grunde wie ein Punk - der sagt was er will, der benimmt sich wie ein riesengroßes Arschloch, macht mit drei Akkorden Millionen.
Was den Ramones verwehrt blieb.
TS: Ja, genau. Im Grunde genommen ist er der
Nr. 1-Punk der Gesellschaft.
PH: Er dürfte nur nicht soviel auf der Sonnenbank liegen.
Der Sonnenbankpunk eben.
PH: Man darf aber eben auch viel mehr. Damals
hat es ja wirklich gereicht, statt dir die Haare zu kämmen, sie wuschelig zu
machen. Heute musst du schon Leute aufschlitzen um wahrgenommen zu werden.
TS: Das merkt man in dem, was die Leute wirklich schockiert.
PH: Im Kinderfernsehen haben ich neulich nackte Ärsche und Pimmel gesehen, von
Titten ganz zu schweigen, das kann doch nicht im Sinne des Erfinders sein. Womit
soll man heute noch schockieren. Man müsste wohl erst in ein schwerkriminelles
Pornogeschäft einsteigen.
TS: Selbst jemand wie Eminem, der als einziger noch schockiert. Der muss darüber
singen, dass er seine Mutter umbringt und seine Frau und Mutter vögelt - ich
weiß nicht in welcher Reihenfolge er das gemacht hat. Man muss also richtig
starken Tobak auffahren. Auch Marilyn Manson muss sich schon schwerwiegende
Sachen überlegen um die Menschen in Amerika zu schocken. Hier in Deutschland
regt sich ja schon keiner mehr über Manson auf.
PH: Es reicht ja schon heute gegen solche Castingshows zu sein um als
gesellschaftlich Ausgestoßener zu gelten.
Das gleiche höre ich immer von den Ärzten, wenn sie auf ihre Indizierungen von solchen banalen Songs wie "Claudia hat 'nen Schäferhund" angesprochen werden. Heute holt man damit wohl keine solche Reaktion mehr hervor, doch damals waren es für die selbsternannten "Jugendschützer" eben heilige Kühe...>
TS: Richtig. Es gab ja vor kurzem eine Band, die wollte es einem ihrer Fans ermöglichen sich bei einem Konzert von ihnen auf der Bühne umzubringen. Das wäre vor 20 Jahren unfassbar gewesen. Heute ist das eine kleine Schlagzeile in der Zeitung. Irgend so ein CSU-Abgeordneter, von dem man zuvor noch nie etwas gehört hat, der hat sich natürlich darüber aufgeregt. Was will man da noch machen?
Farin hat für den Tribut-Sampler "Die Zeit ist reif für ein Tribut an Family 5" den Song "Stein des Anstoßes" aufgenommen. Wie findest du es? Hast du es schon gehört.
PH: Ja sicher. Als wir den Song dann hatten, hat Xao (Seffcheque) das Ding auch durchgezogen. Es ist auch das beste Stück auf der Platte, wie ich finde. Finde ich sehr gut.
Ist auch ein grandioser Song. Ich hatte zuvor noch nichts von Family 5 gehört und der Song spricht einen teilweise wirklich aus der Seele. Seien es jetzt arrogante Juppies oder sonst wer, über die sich beklagt wird.
PH: Jeder kann sich halt jeden aussuchen und es darauf projizieren.
Fabsi, früher bei ZK (der Vorgänger-Band der Hosen) und den Mimmis, heute Weserlabel-Chef, hatte ja die Idee eines Punk-Altersheims. Wie findet ihr die?
PH: Haben wir auch schon gehört. Großartige Idee.
TS: Wenn da aber auch mit allen. Man darf es sich nicht aussuchen können.
PH: Das ist dann das berühmte Schicksal.
TS: Das bleibt dann der Willkür überlassen. Auch keine Einzelzimmer natürlich
(lacht).
Am besten noch Schlafsäle...
PH: Genau (lacht)
TS: Aber immer auch so fesche Krankenschwestern, natürlich.
PH: In de Damenabteilung dann natürlich umgekehrt.
Campino sagte mal in einer Antwort auf die Frage nach seinen letzten Worten, wenn er es sich aussuchen könnte, "Ich komme". Was wären gerne eure letzten Worte?
PH: Die Sau!
TS: Außer "One, Two, Three, Four"? (lacht)
PH: Scheiße!
TS: Ganz sicher nicht "Es geht voran".
PH: "Verfickte Scheiße" wäre gut oder "Mehr Licht!" (lacht).
TS: Genau "Mehr Licht!" (lacht).
Rückblickend auf eure Karriere, was für Anekdoten bleiben da vor allem hängen?
TS: Ich erzähle immer gern, dass wir mal eine Tour hatten, wo wir einen
Auftritt hatten, wo wir vor null zahlenden Zuschauern spielten.
PH: So wie heute.
TS: Es gab nicht mal eine Gästeliste. Der Mann an der Kasse dreht sich dann
irgendwann um, aber wir haben gespielt. Wir haben sogar 2 Stunden gespielt.
Quasi für euch selber...
TS: Hinterher hat sich dann herausgestellt, dass der Veranstalter die Plakate
irgendwie versaut hat.
PH: Wie üblich.
TS: Es gibt so viele Sachen, die man schon wieder vergessen hat, bis dann Leute
einen ansprechen und dann fragen: "Weißt du noch 83 in Bad Salzuflen, wie da der
Monitor weggekippt ist?"
PH: Ich erinnere mich auch gerne wie wir mit Family 5 Hausverbot in der Großen
Freiheit in Hamburg gekriegt haben. Wo Schorsch (Kamerun, Sänger der Goldenen
Zitronen) und Rocko (Schamoni) mich besoffen gemacht haben und ich nur noch 3
Stücke singen konnte. Dann war das Konzert vorbei.
Wie war das früher mit dem Zusammenhalt der einzelnen Szenen untereinander. Die Zentren waren ja Düsseldorf, Berlin, Hamburg, vielleicht noch Hannover?
PH: Eher nicht so groß.
TS: Berlin höchstens.
PH: Stimmt, zu Berlin gab's ein paar Kontakte. Da sind wir öfters mal
hingefahren oder die Leute von dort waren hier und dann haben wir Konzerte
gemacht. Weiß gar nicht mehr, wie die alle hießen.
TS: Hamburg war damals so die Hardcore-Szene. Die fanden uns scheiße, wir sie
usw.. Die waren sehr humorlos.
PH: Und Humor muss ja sein. Hauptsache lachen.
Könntet ihr euch dann vorstellen über eure Karriere ein Buch zu schreiben?
TS: Also ich glaube, da sind wir entschieden zu unbedeutend für. Obwohl wenn
jemand die Idee dazu hätte, würden wir es machen. Das wäre dann aber auch
eigentlich nur so eine Anekdotensammlung. Ansonsten haben wir das, was mir
mitzuteilen haben, auf den Platten mitgeteilt. Das wäre glaube ich aufgeblasen.
PH: Obwohl lustig wäre es schon, zumindest für uns. Dann müssten wir aber im Vorhinein alle Namen schwärzen.
Nach dem Motto: "... und dann kam ***** und sagte: *******...
PH: Genau. Mit einstweiligen Verfügungen. Die werden direkt schon vorher geplant.
Könnt ihr euch noch an euer erstes Konzert erinnern mit den Fehlfarben?
PH: Erstes Konzert der Fehlfarben ist einfach... Mannheim, Capitol. Datum
müsste so März 1980 gewesen sein.
TS: Januar.
PH: Nee.
TS: Auf jeden Fall waren wir Vorgruppe von Hans-A-Plast, den legendären,
großartigen... Nachmittags lief noch ein Bruce Lee-Film. Das war ein Kino. Wir
sind mit dem Zug gefahren
PH: Ich hatte tierisch Grippe. Mit 20 Aspirin und einer halben Flasche Wein trat
ich da auf die Bühne.
Wie war die Resonanz?
PH: War leer aber ok.
TS: Da haben wir noch Ska gespielt. Eine Hardcore Ska-Band. Hab noch Fotos von dem Auftritt in Anzügen und Hüten.
War dann wahrscheinlich das Material von ersten Single?
TS: Ja, genau. Aber auch Stücke von der späteren "Monarchie & Alltag"-LP, aber halt als Ska-Versionen.
Wenn ihr 5 Platten nennen müsstet, die in jede gute Sammlung gehören, welche wären es?
TS: Haben wir schon 5 Platten gemacht?
PH: Das fällt mir immer schwer, weil mit 5 komme ich nicht aus. Ich könnte da
100 nennen. Heute habe ich das gehört und morgen dass. Schwierig.
TS: Meistens wird dann immer so Pistols oder so genannt, nur kein Mensch hört
das wirklich. Es wird nur genannt, weil es eben historisch bedeutsam ist. Aber
die wahren Lieblingsplatten sind immer andere.
PH: Ich würde z.B. Graham Parker-Platten wichtiger finden für mich oder Kinks und The Who-Sachen.
TS: Alle sagen auch Beach Boys "Pet Sounds" wäre die größte Platte, aber mir
persönlich gefällt z.B. die zweite Seite von der "Today"-LP sehr gut. Die kennt
keine Sau.
PH: Ach doch, ist das die, wo sie so Britbeat-mäßig sind?
TS: Ja, auf der zweiten Seite sind dann 5 Balladen, die einfach nur groß sind.
Die Seite dauert vielleicht auch nur 10 Minuten oder so, aber ganz toll. Die
Stücke sind einfach der Hammer. Das hatte ich aber auch so 20 Jahre nicht gehört
und jetzt habe ich es durch Zufall wieder in die Finger gekriegt - das wäre also
im Moment bestimmt unter den Top 5.
SÜ: Heute vor 14 Jahren ist die Berliner Mauer gefallen...
PH: Ja, außerdem gab es die Pogromnacht, den Hitlerputsch und auch glaube ich die Kapitulation 1918.
SÜ: Gut, aber um auf das jüngste Ereignis zurückzukommen...
PH: Das sind alles irgendwie Novemberverbrechen (lacht).
TS: Ich weiß nur, dass ich damals auch in Solingen war, da war ich mit dem Auto
unterwegs und da hielt mich ein Trabifahrer an und fragte mich nach dem Weg. da
war die Mauer aber noch zu. Der muss schon vorher abgehauen sein. War so leichtes
DDR-Feeling damals im November in Solingen. Dann habe ich's im Fernsehen
gesehen. Ich halte es für kein Novemberverbrechen, weil die DDR ein absolut
unerhaltenswerter Staat war. Ich hätte da nicht leben wollen.
Ich musste es notgedrungenermaßen.
TS: Ja? Bist du da aufgewachsen? Immer wenn ich damals da durchgefahren bin, da war das immer nur grau. Wie alt warst du damals?
Sieben erst aber ich kann mich halt noch sehr gut daran erinnern, weil es einfach was komplett anderes war, als du es bisher kanntest.
TS: Ich habe mich nur geärgert, dass ich in Solingen saß und nicht in
Hamburg, dann hätte ich noch schnell nach Berlin fahren können. Ich weiß von
einem Freund, der in einer Kneipe in Berlin gearbeitet hat, der sagt: "Speziell
diese Nacht war einfach heiß!" Das wird der in seinem Leben auch nie vergessen.
Hast du das im Nachhinein als Schock in Erinnerung?
Ich bin der Meinung, dass meine Generation von der Wiedervereinigung eigentlich nur profitiert hat. Wenn ich da an die Generation meiner Großeltern oder auch Eltern denke - denen wurde halt ein Großteil der Chancen genommen. Die beklagen sich auch nicht, weil sie es eben nicht anders kannten und auch so glückliche Jahre verlebt haben. Wir sind dann auch erst Jahre später in den Westen gezogen bzw. ich bin erst vor einigen Jahren hier in Düsseldorf gelandet.
TS: Aus welcher Stadt kamst du?
SÜ: Geboren bin ich in Wernigerode.
TS: Harz. Da war ich schon. Kurz nach der Wende war ich in einem genialem Hotel im Harz in so einem ehemaligen FDJ-Schulungsheim. Da waren die Nachttischlampen mit bulgarischer Reizwäsche bezogen. Das war irre. Ein Riesenkasten und keine Sau war da mehr. Alexisbad war das. Ein Hotel mit einem Fabrikschornstein und die Belegschaft hat dann das Ding übernommen und versucht weiter zu betreiben, was natürlich in Bausch und Bogen in den Ruin ging. Da wollte ja keiner hin.
Da ist auch für mich das Amüsante an diesen unsäglichen Ostalgie-Shows, dass man dort wieder Sachen sieht, die man eigentlich verdrängt hatte. Wo man sich im Nachhinein nur an den Kopf packt.
TS: Ich habe mal in der Süddeutschen einen Artikel gelesen, wo halt gesagt wurde, dass diese Shows im Osten überhaupt keine Sehbeteiligung hatten. Das ist halt Entertainment für die Westdeutschen. Das gleiche gilt für die 70er Show. Das wird als Kult gehypt, was aber früher eine wirklich grauenhafte Zeit war. Schlechte Musik, spießig, einfach furchtbar.
Ich kann aus den 70ern auch nur mit KISS, The Sweet oder Zappa was anfangen...
PH: Also Sweet fand ich Horror - genau wie Slade.
TS: Aber auch Abba hatten anfangs ein paar gute Pop-Songs.
PH: Hinterher wurde es aber richtig trashig.
TS: Ich kann auch dem deutschen Schlager der 70er nicht einen Millimeter was
abgewinnen. Wenn ich da an Rex Gildo mit "Fiesta Mexicana" denke, oh Gott.
PH: Grauenhaft.
Gut, dass er das auch eingesehen hat und aus dem Fenster gesprungen ist (alle lachen).
TS: Das kann man auch nachträglich nicht rechtfertigen. In den Shows tun
jetzt alle so. Auch die Schlaghosen die waren nicht aus Glitzer, die waren alle
kackbraun.
PH: Solche Fickmonster, wie da gezeigt werden, liefen auch nicht auf der Straße
rum (lacht). Das waren nur Brotbeutel und Häkeltücher und so.
Wenn ich so an dieses 80ies Revival denke, dann denkt man sich auch: "Oh man, jetzt kann ich mir die Scheiße noch mal anhören."
TS: Das ist ja bei den Leuten aus den 60ern genauso. Da führen das alle auch
immer nur auf die Stones, Hendrix oder The Greatful Dead zurück. In Wirklichkeit
war das aber auch irgendwie Spießermusik.
PH: Das ist aber immer so.
TS: Im 90er Revival wird auch kaum Nirvana oder Eminem erwähnt werden, sondern
vielleicht Modern Talking - genau wie in den 80ern. Wer hat denn in den 80ern
schon Modern Talking gehört. Das war doch ein Brechmittel. Ein grauenvoller Typ,
wirklich üble Musik.
SÜ: Vielen Dank für das Interview.