MUFF POTTER
"Unsere Platten werden nie so fett wie die neue Slipkot klingen."

Muff Potter

Köln, 27. April 2007. Bei sommerlichen Temperaturen um die 30° mache ich es mir mit Nagel, Dennis, Brami und Shredder alias Muff Potter im Mediapark von Köln gemütlich. Während des Interviews beobachten wir einen jungen Radfahrer, der sich gehörig in den Schotter legt. Die Stimmung ist sehr entspannt.

Ihr habt mit "Steady Fremdkörper" ein neues Album draußen. Wie schwer war es für euch sich von den 11 Songs zu lösen?

Nagel: Nicht so schwer. Das war schon mal schwerer. Dieses Mal sind im vorhinein schon reduzierter an die Aufnahmen herangegangen. Wir hatten dieses Mal nicht den Anspruch die Songs mit Bombast vollzuballern, sondern haben uns bei den meisten Songs sogar nur auf ein-zwei Gitarrenspuren beschränkt. Es gibt natürlich auch ein paar Effekte aber die sind doch sehr im Rahmen geblieben. Wir konnten uns dieses Mal besser von den Songs lösen, weil wir nicht so lange an ihnen rumgeschraubt haben, sondern eher die Momentaufnahmen eingefangen haben.
Dennis: Wir haben uns für das Songwriting in einem kleinen Haus in Harem im Emsland verbarrikadiert und haben dort relativ schnell gemerkt, dass die Songs dieses Mal in den dort entstandenen Versionen schon für sich stehen können und es keinen Bombast-Apparat braucht.
Brami: Wir haben halt einfach mal eine andere Vorgehensweise gewählt und weniger ein Prinzip verfolgt.

Wie gerade angesprochen habt ihr die Platte in einem kleinen Haus im Emsland aufgenommen. Gab es dort irgendwelche Ablenkungen für euch?

Brami: Ein Schlauchboot und ein "Mensch, ärger' dich nicht"-Spiel...
Nagel: ... und die Fußball-WM. Ich bin ja vollkommener Fußball-Laie und hatte das Haus ab dem 9. Juni, dem Beginn der WM, gebucht. Als wir dann dort angekommen sind, mußte Brami auch erstmal zehn Spiele nacheinander sehen bevor wir loslegen konnten (lacht).
Brami: Abgesehen von der Fußball-WM hatten wir aber auch so viel Spaß - wir hatten ja noch das Schlauchboot (lacht) ...

.. und das "Mensch, ärger' dich nicht"-Spiel. Gibt es jemanden bei euch, der absolut nicht verlieren kann?

Nagel: Eigentlich alle. Ein Highlight war aber als Brami aus lauter Frust bei einem Spiel irgendann nur rückwärts gelaufen ist (alle lachen).

Ihr habt gerade die Fußball-WM angesprochen. Habt ihr euch selbst dabei ertappt in das "Schwarz-Rot-Geil"-Gefühl mit eingestiegen zu sein?

Brami: Bei mir wurde das immer noch vom "Wir sind Papst"-Gefühl überlagert (alle lachen).
Nagel: Was so etwas betrifft, sind wir wohl relativ immun.

Das neue Album heißt "Steady Fremdkörper". Wann habt ihr euch zuletzt als Fremdkörper gefühlt.

Nagel: Ich habe das Gefühl eigentlich ständig. Zuletzt war das bei den Aufnahmen zu einer MTV Show der Fall, wo ich mir sehr verloren vorkam.

Mit der Veröffentlichung der letzten Platte seid ihr zu einem Major-Label gewechselt. Wie sehr ihr eure Entwicklung seit dem Wechsel?

Brami: Auf die künstlerische Arbeit hat so ein Wechsel keinen Einfluss. Die "Von wegen"-Platte war schon fertig als wir den Wechsel gemacht haben - daran sieht man das sich auf dieser Ebene nichts geändert hat.
Nagel: Es ist schon lustig gewesen, dass man uns mit der Veröffentlichung der letzten Platte vorgeworfen hatte, dass man der Platte den Major-Vertrag anhört, was natürlich totaler Blödsinn ist, da die Platte schon fertig war. So ein Wechsel hat vielmehr Auswirkungen auf die Arbeitsweise als Band. Auch wenn es paradox klingen mag, so muss man als Künstler noch viel wachsamer sein und den "Do It Yourself"-Gedanken noch mehr leben um sich irgendwann nicht im falschen Film wieder zu finden. Da wir uns als Band aber lange Zeit selbst promotet haben war es für uns kein Philisophie-Wechsel.

Was war eure Motivation für das neue Album?

Brami: Oft sind ja schwache Stellen auf den letzten Platten für uns auch ein Antrieb gewesen es noch besser zu machen. Die "Von wegen"-Platte ist für mich jedoch die erste wirklich "runde" Platte von uns gewesen.
Nagel: Am Anfang war es für uns auch wirklich schwierig sich zu motivieren, nach dem Motto: "Scheiße, die erste Platte gefällt uns immer noch gut. Was sollen mir noch besser machen?".
Brami: Wir hätten natürlich auch noch mehr Rock-Bombast auffahren können.
Nagel: Wir brauchen uns aber auch nichts vorzumachen: unsere Platten werden nie so fett wie die neue Slipkot klingen. Wir sind daher zu unseren Wurzeln zurückgegangen und haben uns auf unsere Stärken beschränkt. Die erste Tage im Emsland waren zwar sehr verkrampft, weil wir ständig das Gefühl hatten und zu wiederholen, aber irgendwann sind wir dann in einen Flow gekommen, bei dem Sachen entstanden sind, von denen wir sehr begeistert waren.
Dennis: Ich höre oft, dass die Platte etwas düsterer geworden ist, was ich gut nachvollziehen kann.

Das kann ich auch teilen. Ich finde auch, dass die Platte textlich wieder etwas aggressiver geworden ist...

Nagel: Das mag stimmen. "Wenn dann das hier" vom letzten Album ist schon poppiger als z.B. "Gestern an der Front". Doch gerade als wir das Riff zu "Gestern an der Front" gespielt haben, haben wir gemerkt, dass eine geile Atmosphäre entsteht.
Brami: Der Song ist für mich auch der Schlüsselsong auf dem neuen Album.

In eurem Promoschreiben stand geschrieben "Muff Potter sind rastlose Geister, doch die Wut ist ihnen treu geblieben". Wie steht ihr zu dem Statement? Würdet ihr euch als wütend beschreiben?

Nagel: Schon, denn die derzeitige deutschsprachige Gitarrenmusik ist sehr von Harmonie und Freundlichkeit geprägt, was mich schon immer angeödet hat und wozu ich keinen Bezug habe. In diesem Kontext würde ich uns schon als wütende Band bezeichnen.

Seit der Veröffentlichung eures letzten Albums hat sich Deutschland verändert. Die Wirtschaft boomt an allen Orten, man ist Papst und überhaupt wieder wer. Viele dieser Themen tauchen auf eurem neuen Album auf. Wie groß war tatsächlich der Einfluss auf das Songwriting?

Nagel: Das Thema Religion ist schon ein zentraler Aspekt der Platte. Auch das Thema Ersatzreligion, also das Gefühl von Leuten sich Gruppen anschließen zu müssen, wo sie möglichst wenig selber denken müssen. Dieses Bedürfnis scheint in den letzten Jahren immer stärker geworden zu sein. Das "Finckelmann'sche Lachen" ist z.B. ein Song, der dies anschneidet. Der ist entstanden als ich beim Sport war und diesen Typen beobachtet habe, der mit seinen dünnen Armen und der größten Leidenschaft und Ausdauer die größten Gewichte gewuchtet hatte, während nebenan auf einer Großbildleinwand Deutschland gespielt hatte und sich alle als Fußball-Fans ausgaben, weil sie auch mal wieder mitjubeln wollten. Diese Kontrast war schon spektakulär.

Viele Bands, die schon länger zusammen spielen, antworten auf die Frage, was nach all den Jahren noch ihr Antrieb ist meistens "Einmal den perfekten Song zu schreiben". Was ist euer Antrieb?

Nagel: Da hatte ich vor kurzem noch mal drüber nachgedacht und habe festgestellt, dass das bei mir überhaupt nicht der Fall ist. Ich versuche das eher zu vermeiden.
Shredder: Klappt ja ganz gut (alle lachen).
Nagel: Wir wollen halt versuchen uns nicht ständig zu wiederholen und somit jeder Platte eine eigene Daseinsberechtigung verleihen. Dabei durchschreitet man natürlich Berge und Täler, aber wenn man einmal das Tal überwunden hat, ist dies mit keinem Gefühl der Welt vergleichbar. Wenn man aus dem Proberaum kommt und ein neues Riff oder einen neuen Song gespielt hat, den außer den vier Anwesenden noch keiner gehört hat, ist das schon ein unbeschreibliches Gefühl.

In "Wunschkonzert" beschreibt ihr Lebenssituationen von Leuten, aus denen diese gerne ausbrechen wollen. Hattet ihr als Musiker schon Phasen, wo ihr euch gewünscht hättet vielleicht doch besser eine Bankkaufmannslehre gemacht zu haben?

Brami: Das sind eher Momente.
Nagel: Das war aber auch immer der Grund für die Besetzungswechsel innerhalb der Band.
Dennis: Natürlich gibt es diese Existenzängste, aber diese will ich für kein Geld der Welt gegen die Erfahrungen mit Muff Potter eintauschen.
Nagel: Der Song "Wunschkonzert" handelt vor allem von sozialen Realitäten. Ich finde diesen FDP-Ansatz scheiße, wonach man alles erreichen kann, wenn man sich anstrengt. Bei vielen Leuten ist das aber aufgrund ihrer Herkunft einfach unmöglich.

Als Musiker ist man prädestiniert für Aushilf-Jobs. Was waren eure kuriosesten Anstellungen?

Nagel: Brami arbeitet immer noch als Fensterputzer aber Dennis hat wirklich mal Sex-Spielzeug aus Holz bei eBay verkauft.
Dennis: Ich habe mal vor kurzem zusammen gezählt und bin wirklich auf ca. 20 Jobs gekommen, die ich schon gemacht habe. Das Kurioseste war aber mit Sicherheit, als mich der Chef einer Dachdecker-Firma anrief, der jemanden suchte, der sich mit Computern und HTML auskannte. Ich habe ihn dann getroffen und dieser Dachdecker-Freak mit Goldkettchen hat mir dann offenbart, dass er "Powerseller" werden will (alle lachen). Dafür musste ich dann aus einem Sex-Spielzeug Katalog Artikel einscannen, bearbeiten und online stellen. Das ging ein halbes Jahr gut, dann war die Firma pleite.
Nagel: Ich habe eigentlich das übliche wie Lagerarbeit oder Hotline-Dienst gemacht, letzteres finde ich übrigens mit Abstand das Schäbigste, was man machen kann.
Brami: Ich war Bierkutscher. Da mußte man gut frühstücken.
Shredder: Ich habe viel Marktforschung gemacht - so von Haustür zu Haustür gehen und alte Omas nach ihrer Lebensgeschichte befragen.
Nagel: Dennis hat auch mal den Knaller gebracht als er zum Arbeitsamt ging und gefragt hat "Habt ihr auch Schwarzarbeit?" (alle lachen).

Was bewundert ihr an die ärzte?

Nagel: Ich finde es geil, dass sie sich ihre eigene Szene geschaffen haben. Da merkst du z.B. bei jedem in der Crew warum er dabei ist. Wir haben leider nur ein mal mit die ärzte zusammen gespielt aber wir wurden dort extremst gut behandelt, was nicht selbstverständlich ist. Vor kurzem gab es eine schöne Begebenheit um die ärzte, als wir unseren eigenen Musikverlag gegründet haben. Wir wollten den "Muff Potter Edition" nennen, doch die GEMA teilte uns mit, dass es einen solchen Künstlernamen schon gibt. Wir haben uns dann gefragt, welcher Arsch das ist und sind dann auf Farin Urlaub gestoßen, der sich zu seinen King Kong-Zeiten so genannt hatte. Wir verzeihen ihm aber.

Vielen Dank für das Interview.

© Stefan Üblacker